Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld hat in diesem Jahr dem Kämmerer "den Vortritt gelassen". Sie sprach im Anschluss an Uwe Bonan zu den Ratsmitgliedern und anwesenden Vertretern aus Bürgerschaft und Verwaltung: "Der Stadtkämmerer hat Ihnen die Rahmenbedingungen aufgezeigt, unter denen wir schon nächstes Jahr wieder aus dem Nothaushalt rauskommen können. Wir haben hier einen realistischen Weg aufgezeigt. Den haben wir hart erarbeitet, und das ist uns nicht leicht gefallen. Er ist hart und mühsam, aber ich sehe keinen anderen, wenn wir uns die Chance erhalten wollen, unsere Zukunft wieder selbst zu gestalten," so das Stadtoberhaupt. Hier können Sie die gesamte Rede der OB zur Etateinbringung noch einmal nachlesen:
Rede von Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld zur Einbringung des Etats 2012 am Donnerstag, 6.10.11
- Es gilt das gesprochene Wort -
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Meine sehr geehrten Herren und Damen,
in diesem Jahr habe ich dem Kämmerer den Vortritt gelassen.
Er hat Ihnen gerade die Rahmenbedingungen aufgezeigt, unter denen wir schon nächstes Jahr wieder aus dem Nothaushalt rauskommen können. Wir haben hier einen realistischen Weg aufgezeigt. Den haben wir hart erarbeitet, und das ist uns nicht leicht gefallen. Er ist hart und mühsam, aber ich sehe keinen anderen, wenn wir uns die Chance erhalten wollen, unsere Zukunft wieder selbst zu gestalten.
Vor Ihnen liegen jetzt alle Fakten und Zahlen. In Tabellen, in Einnahmen und Ausgaben aufgelistet und vom Kämmerer umfassend erläutert.
Würde ich jetzt behaupten, damit lägen auch die Schlussfolgerungen oder gar die Lösungen auf der Hand, wäre das mindestens voreilig. Wissen wir doch alle, dass Fakten von verschiedenen Betrachtern sehr unterschiedlich interpretiert werden können.
Was also tun wir, tun Sie jetzt? Wie interpretieren Sie das Ihnen Vorgelegte? Welche Akzente werden Ihre Fraktionen setzen und welche Rolle wird in diesem Prozess Ihre Meinung spielen?
Ich weiß aus meinen vielen Gesprächen mit BürgerInnen, mit Geschäftsleuten und Investoren, dass für diese hinter den nüchternen Zahlen des Haushalts hohe Erwartungen und Emotionen liegen. Die vielfältigen Proteste aus der Bürgerschaft gegen die im vergangenen Jahr vorgeschlagenen Kürzungen im Bereich von Sport und Kultur sind uns noch alle präsent.
Das ist gut nachvollziehbar, denn immer, wenn es darum geht, Mangel zu verwalten oder zu verteilen, gelten besondere Bedingungen. Und alle Entscheidungen – ganz gleich in welche Richtung – lösen Ungerechtigkeiten aus, zumindest das Gefühl davon. Dennoch können wir es uns nicht weiter leisten, über unsere Verhältnisse zu leben und mit wachsenden Schuldenbergen uns, unsere Kinder und unsere Enkel immer stärker zu belasten. Und gleichzeitig haben wir immer weniger Gestaltungsfreiheit. Gerade deshalb müssen wir diese wenigen Handlungsspielräume zum Wohle der Stadt nutzen.
Dabei wird es letztendlich nicht nur auf die Entscheidungen an sich ankommen, sondern auch auf das Wie, auf den Weg, wie wir diese Entscheidungen herbeiführen. Dafür brauchen wir nicht nur gute Argumente und genaue Sachkenntnisse. Wir brauchen auch unsere Überzeugung, unseren inneren Kompass. Unser innerer Kompass ist - und ich gehe davon aus, Sie stimmen darin mit mir überein - in mehrfacher Hinsicht geeicht: durch das Bewusstsein, im Auftrag der WählerInnen zu handeln, dabei das Beste für die Stadt als Ganzes im Auge zu haben und für als richtig Erkanntes einzustehen.
Das spricht für ein großes Maß an Übereinstimmung. Und die werden wir auch auf dem vor uns liegenden Weg brauchen. Denn am Ende des Jahres müssen wir gemeinsam darüber entscheiden, in welche Richtung wir gehen wollen. Mit unseren Entscheidungen beeinflussen wir maßgeblich die Richtung, in die sich Mülheim an der Ruhr in den nächsten Jahren entwickeln wird. Jeder und jede von Ihnen hat eigenen Vorstellungen davon.
Für mich ist es ganz wesentlich, alle Mitteln und Kräfte einzusetzen, um ein lebenswertes, friedvolles und zukunftsfähiges Mülheim zu erhalten. Ich bin überzeugt davon, dass es dafür tragende Säulen braucht, ohne die wir dieses Ziel nicht erreichen.
Eine dieser entscheidenden Säulen ist die „Familienfreundlichkeit“ und „Generationengerechtigkeit“.
Wir haben bereits ein qualitativ gutes Angebot an OGS-Plätzen, U3-Plätzen und Ganztagskitas. Aber wir müssen massiv weiter investieren und ausbauen, um dem Bedarf wirklich gerecht zu werden. Und auch im Bereich der Pflege und der alternativen Wohnformen im Alter müssen wir mehr tun. Wir brauchen zum Beispiel Wohnraum für SeniorInnen und Familien in der Nähe der notwendigen Infrastruktur. Also nicht am Rande der Stadt, sondern mitten drin. Dafür brauchen wir neue Ideen für die Stadtentwicklung, für den Umgang mit Innenräumen, für das Verhältnis von Bebauung und Freiflächen in den Quartieren und Stadtteilen.
Eine weitere wichtige Säule: „Integration“
In Mülheim hat jede/r 5. Mülheimer eine Zuwanderungsgeschichte. Jedes zweite neugeborene Kind stammt aus einer zugewanderten Familie. Hinter diesen statistischen Zahlen verbergen sich heute leider immer noch zu häufig: fehlende Sprachkenntnisse und Bildung sowie fehlendes kulturelles Verständnis – von beiden Seiten. Um nur einige Problemfelder zu nennen. Damit in Mülheim Integration gelingt, müssen alle in unserer Stadt lebenden Menschen die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe, auf Bildung und Arbeit, auf die Zugehörigkeit zu den sozialen Sicherungssystemen und politischer Mitgestaltung haben. Am besten gelingt dies vor Ort und mit den Menschen. Deshalb müssen wir interkulturelle und stadtteilbezogene Projekte fördern.
Die Säule „Bildung“:
Wir haben in den letzten Jahren viele Fortschritte auf dem Weg zum führenden Bildungsstandort in der Metropole Ruhr gemacht. Ich nenne beispielhaft die Ansiedlung der HRW, das ZdI, die EEC-Kindergärten. Das reicht aber noch nicht.
Wenn wir unser Ziel wirklich erreichen wollen, dann:
- brauchen wir ein Bildungsangebot für alle Kinder in unserer Stadt – und zwar von Anfang an.
- darf kein Jugendlicher die Schule ohne Bildungsabschluss verlassen.
- brauchen wir starke Bündnisse mit der lokalen Wirtschaft, die Ausbildungsplätze sichern.
- muss die Schulinfrastruktur den sinkenden Schülerzahlen angepasst sein.
- sind die fortbestehenden Schulstandorte zu stärken.
Die Säule „Sport-, Kultur und Freizeit“
Mülheim bietet hier derzeit ein breites Spektrum an. Nicht alles werden wir künftig aufrechterhalten können. Dazu fehlt uns schlicht und einfach das Geld, nicht der Wille! Deshalb gilt auch hier, dass wir die Angebotsstruktur an die sinkende Einwohnerzahl und die Bedürfnisse der Menschen anpassen müssen. Neue Kooperationen zwischen Vereinen und Kultureinrichtungen, zwischen Jugendzentren und Senioreneinrichtungen sind unumgänglich. Aufgabenkritik ebenso. Und Sozialraumorientierung ist auch hier unverzichtbar.
„Wirtschaft“ ist eine weitere wichtige Säule:
Mülheim ist ein attraktiver und innovativer Wirtschaftsstandort mit starkem Mittelstand, hoher Beschäftigungsquote und vielfältigen Wirtschaftsstrukturen. Das soll so bleiben. Dafür müssen wir die Ansiedlung neuer Firmen forcieren und neue Gewerbeflächen ausweisen. Erweiterungs- und Verlagerungswünsche ansässiger Firmen müssen bedient werden. Dazu brauchen wir eine starke Wirtschaftsförderung.
Auch „Klimawandel“ gehört zu den wichtigen Säulen:
In Sachen Klimawandel und -schutz hat Mülheim in kurzer Zeit viel erreicht. BürgerInnen und Unternehmen sind offen für klimaschonende Projekte. Sie machen mit. Das müssen wir nutzen, um Ökologie und Ökonomie im Gleichgewicht zu halten.
Wie erreichen wir das? Indem wir innovativen Unternehmen aus den Bereichen Klimaschutz und Energieeffizienz optimale Standortbedingungen bieten. Indem wir öffentliche und private Gebäude energetisch auf den neuesten Stand bringen. Und indem wir klima- und umweltschonende Projekte, auch im Kleinen, fördern.
Abschließend noch die Säule „Sicherheit und Sauberkeit“:
Klagen über mangelnde Sicherheit und Sauberkeit in unserer Stadt sind häufig zu hören. Objektiv sind sie nicht. Beide Themen haben vor allem mit dem Verhalten der BürgerInnen selbst zu tun. Deshalb müssen sie mehr Verantwortung übernehmen. Denn wir können viel Geld sparen, wenn wir weniger für Sauberkeit, zur Beseitigung wilder Müllkippen und für das Ergebnis der Zerstörungswut einzelner ausgeben müssen.
Sehr geehrte Ratsmitglieder,
es ist nun Ihre Aufgabe, auf Grundlage der Darstellung des Kämmerers in die Beratungen zu gehen. Die Rahmenbedingungen sind klar. Wir müssen am Ende der Beratungen zu einem genehmigungsfähigen Haushalt kommen, wenn wir die Gestaltungshoheit für unsere Stadt, für ein lebenswertes, friedvolles und zukunftsfähiges Mülheim selbst in der Hand behalten und nicht an die Bezirksregierung abgeben wollen. Das muss der Maßstab unseres Handelns sein.
Mit unseren Entscheidungen im Dezember stellen wir die Weichen für uns und für die der nachfolgenden Generationen. Wir alle wissen, dass es weitere schmerzhafte Einschnitte geben wird. Dass diese für alle tragbar sind, dafür haben wir die Verantwortung.
Deshalb appelliere ich an Sie: Debattieren Sie in Ihren Ausschüssen und mit Fachleuten intensiv und gerne auch kontrovers, damit wir im Dezember einen Konsens finden. Einen Konsens, der die Zukunft Mülheims sichert.
Vielen Dank.